USA: Die neuen Klima-Bündnisse hinter Bidens Inflation Reduction Act

Analyse

In einer Zeit, in der die amerikanische Demokratie in einer existenziellen Krise steckt und die Radikalisierung der Rechten kaum noch Grenzen kennt, verabschiedete Präsident Biden das bisher wichtigste Klimagesetz der amerikanischen Geschichte: den Inflation Reduction Act (IRA). Ein Jahr lang haben wir innerhalb und außerhalb Washingtons Gespräche mit Klimaaktivist*innen, Umweltorganisationen, Gewerkschaften, Expert*innen an Universitäten und Think Tanks sowie Praktiker*innen aus Politik und Zivilgesellschaft geführt, um zu verstehen, wie der IRA zustande kam und was es für die Umsetzung braucht.

Joe Biden legt seinen Arm um Ausbildungskoordinator Brandon Moore. Im Hintergrund Plakate mit der Aufschrift "INVESTING IN AMERICA"
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Präsident Joe Biden nimmt ein digitales Video mit dem Ausbildungskoordinator Brandon Moore auf, Montag, 3. April 2023, in der Cummins Power Generation-Anlage in Fridley, Minnesota.

Wir sind überzeugt, dass grüne Akteure und soziale Bewegungen aus der Entstehungsgeschichte des Gesetzes viel darüber lernen können, wie man neue, belastbare Bündnisse schmiedet, glaubwürdige Narrative findet, die Wohlstand, Sicherheit und Chancen versprechen und das Vertrauen in staatliche Lösungen wiederherstellt.

Eine unwahrscheinliche Reform in einem gespaltenen Land

Im Wahlkampf 2020 kandidierte Joe Biden mit einem ehrgeizigen Programm für transformativen Klimaschutz. Seine Agenda baute auf zahlreichen Ideen des sogenannten Green New Deal auf, den progressive und linke Kräfte um die US-Abgeordneten Alexandria Ocasio-Cortez und Bernie Sanders 2019 entwickelt hatten: 2 Billionen Dollar für die Dekarbonisierung des Energiesektors bis 2035 hatten sie gefordert, umfassende Investitionen in die öffentliche Infrastruktur und E-Ladenetzwerke, Unterstützung für bezahlbare Wohnungen und Mittel für soziale Gerechtigkeit sowie ein klarer Fokus auf gut bezahlte Arbeitsplätze in grünen Branchen. Bidens Programm basierte auf den Empfehlungen der Biden-Sanders Unity Task Force, die die beiden Politiker im Vorwahlkampf ins Leben gerufen hatten, um das junge, progressive Lager um Sanders und Ocasio-Cortez mit Bidens überwiegend gemäßigt-konservativen Anhängerschaft innerhalb der Demokratischen Partei zusammen zu führen.

Der Green New Deal und Bidens Herangehensweise an Klimaschutz waren und sind maßgeblich von früheren Versuchen der Demokraten geprägt, Klimaschutz auf nationaler Ebene durchzusetzen: Sowohl Bill Clinton als auch Barack Obama waren mit deutlich weniger ambitionierten Klimagesetzen krachend gescheitert, obwohl beide zunächst mit deutlich größeren politischen Mehrheiten regieren konnten. Clinton und Al Gore hatte Anfang der 1990er Jahre versucht, mit einer moderaten Energiesteuer den Benzinverbrauch der Amerikanerinnen zu senken – und waren krachend am Widerstand aus der Landwirtschaft, den Gewerkschaften und der Industrie gescheitert. Obama wiederum trieb 2009 die Hoffnung an, das Land zu versöhnen und Konservative ins Boot zu holen, indem er das Cap-and-Trade-Konzept des republikanischen Senators John McCain sowie die Finanzierung von Carbon Capture and Storage (CCS) ins Zentrum seiner Klimareform stellte. Aber selbst die Unterstützung der Öl- und Gasunternehmen konnte die Republikaner nicht dazu bewegen, das Gesetz zu unterzeichnen. Obamas American Clean Energy and Security Act wurde zwar 2009 von den Demokraten im Repräsentantenhaus noch verabschiedet, dann aber im Senat nie zur Abstimmung gebracht, wo die Republikaner mit einer Blockade durch Filibuster drohten. Von 2009 bis 2016 beschränkten sich die Klimaschutzmaßnahmen dann auf Exekutivmaßnahmen des Präsidenten, die von seinem republikanischen Nachfolger mühelos rückgängig gemacht werden konnten.

Diese Erfahrung hinterließ tiefe Spuren bei der US-Klima- und Umweltbewegung. Nach dem Scheitern von Obamas Reform war die amerikanische Klimabewegung gezwungen, dabei zuzusehen, wie ihre politischen Spielräume schwanden, währen die Klimakrise weiter voranschritt. Mit dem Aufstieg der Tea Party ab 2008 wurde die Leugnung des Klimawandels endgültig zum Kern der republikanischen Identität und von Trump schließlich zur Bundespolitik erklärt.

Als Biden 2021 mit einer politischen Mehrheit in beiden Kammern des Kongresses sein Amt antrat, herrschte immenser Druck, so schnell wie möglich tiefgreifende Klimaschutzmaßnahmen zu ergreifen. Die Chancen für die Verabschiedung eines solchen Gesetzes standen jedoch schlecht: Die demokratische Mehrheit im Kongress war dünn, was konservativen Fraktionsmitgliedern wie Joe Manchin und Kyrsten Sinema unverhältnismäßig großen Einfluss verschaffte; die wirtschaftliche Lage war angespannt und die GOP nach der Niederlage weit davon entfernt, sich zu mäßigen.

Trotz dieser schwierigen Umstände setzten sich Biden und ein breites zivilgesellschaftliches Bündnis für den Klimaschutz durch und verabschiedeten letzten Sommer ein Gesetz, das eine der größten Industrienationen der Welt innerhalb eines Jahrzehnts mit Hilfe von Subventionen und Steueranreize für Industrie und Haushalte zu dekarbonisieren versucht, nach der Faustregel: je umwelt- und arbeitsmarktfreundlicher das Projekt, desto höher die staatliche Unterstützung. Wie konnte das gelingen und welche Ansätze und Ideen lassen sich daraus ableiten? Aus unseren Gesprächen im vergangenen Jahr haben wir drei Lehren gezogen, die für diesen Durchbruch entscheidend waren und die auch für andere Grüne Bewegungen nützlich sein könnten.

Lektion 1: Biden mag als moderat-konservativer Demokrat gelten, doch sein Dekarbonisierungsgesetz ist das Ergebnis einer neuen Allianz zwischen Klimabewegung, Gewerkschaften und racial justice movements.

Zwei wichtige zivilgesellschaftliche Akteure bei den IRA-Verhandlungen waren die BlueGreen Alliance (BGA) und das Green New Deal Network (GNDN). Nach mehreren Jahrzehnten gescheiterter Klimapolitik kamen beide Organisationen Mitte der 2000 Jahre zu dem Schluss, dass erfolgreiche Klimaschutzmaßnahmen eine Basis benötigen, die weit über die ökologische Bewegung hinausgeht – auch wenn dadurch Umweltorganisationen ihre Deutungshoheit in der Klimapolitik verlieren mögen. Klimapolitische Forderungen, die ausschließlich von Grünen Akteuren kamen und den Wandel nur aus Umweltperspektive betrachteten, fanden zu selten genug Unterstützung, um zu einer politischen Priorität zu werden und den Angriffen einer radikalisierten Rechten standzuhalten. Ein zentrales Ziel wurde also, mehr Menschen an den Tisch zu bringen und ihre Anliegen und Prioritäten in eine erweiterte Klima-Agenda zu integrieren. BGA und GNDN verfolgten dies auf unterschiedliche Weise.

Die BlueGreen Alliance konzentrierte sich auf die Bildung von neuen Bündnissen für Klimaschutz und gute Arbeitsplätze in grünen Branchen.

Die BlueGreen Alliance entstand aus den Trümmern von Obamas American Clean Energy and Security Act: Dass sich Gewerkschaften und Umweltorganisationen bei den Verhandlungen über den Gesetzesentwurf nicht einigen konnten, schwächte die Reform vor allem in den Momenten, in denen eine überparteiliche Zusammenarbeit mit den Republikanern immer unwahrscheinlicher wurde. Was 2006 als Gedankenaustausch zwischen dem Sierra Club, einer der ältesten Naturschutzgruppen der Vereinigten Staaten, und den United Steelworkers, einer besonders traditionellen Gewerkschaft, begann, entwickelte sich zu einer formellen Dachorganisation zur Bündnisbildung zwischen Umweltbewegung und Gewerkschaften. Organisationsprinzip der BlueGreen Alliance ist die folgende Erkenntnis: “We can no longer choose between good jobs and a clean environment; the actions we take to create quality jobs and to protect working people and the environment must go hand-in-hand, (...) together, we will build a clean, thriving and fair economy."

Im Laufe des folgenden Jahrzehnts wuchs die BlueGreen Alliance auf 13 Gewerkschaften und Umweltorganisationen an, darunter einflussreiche Akteure sowohl in der Arbeitnehmer- als auch in der Umweltbewegung, wie die Service Employees International Union (SEIU) und die International Union of Bricklayers and Allied Craftworkers (BAC) oder die League of Conservation Voters und die Union of Concerned Scientists.

Ohne ihre Differenzen zu ignorieren, suchten die Mitglieder nach Wegen, gemeinsam voranzukommen. Anstatt zu versuchen, jedes für die Umweltbewegung wichtige Thema anzusprechen, konzentrierte sich das Bündnis auf Kernbereiche, in denen Übereinstimmung möglich schien: die Notwendigkeit, die Wirtschaft rasch zu dekarbonisieren und gleichzeitig gut bezahlte Arbeitsplätze in sauberen Technologien zu schaffen. Gerade weil allen Beteiligten klar war, dass die verschiedenen Organisationen in vielen Fragen unterschiedliche Positionen vertreten, brauchte es Instrumente und Regeln, um das Vertrauen ineinander zu schützen. Die „no suprises“-Regel erwies sich dabei als besonders nützlich: Die BGA-Partner*innen informieren sich bis heute gegenseitig vorab, bevor sie öffentlich Positionen vertreten, die die andere Seite nicht teilt. Dieser Ansatz allein hat bislang dazu beigetragen, dass Meinungsverschiedenheiten die Partnerschaft nicht grundsätzlich gefährden. Trotzdem gab es auch in dieser Allianz Momente, in denen einzelne Organisationen die Allianz verließen, doch insgesamt hat sich das Netzwerk in schwierigen Zeiten als widerstandsfähig erwiesen. Zum Beispiel nach der Wahl 2016, als Gewerkschaftsführer*innen sich damit auseinandersetzen mussten, dass viele ihrer Mitglieder sich der radikalisierten MAGA-Bewegung (Make America Great Again) angeschlossen hatten. In Reaktion darauf organisierte die BGA ein Jahr lang im industriellen Heartland sogenannte Listening Sessions, zu denen sie Gewerkschaftsmitglieder aus der dort zumeist weißen Arbeiterklasse einluden, die für Trump gestimmt hatten. Umweltaktivist*innen nahmen an der Seite von Gewerkschaftsorganisator*innen teil und bauten Beziehungen zu einem Teil der amerikanischen Gesellschaft auf, mit dem sie zuvor nur selten in Kontakt gekommen waren.

All dies geschah im Hintergrund, in einem geschützten Rahmen abseits des politischen Tagesgeschehen. Doch als sich dann erstmals nach den Zwischenwahlen 2018 andeutete, dass bald der Moment kommen könnte, politischen Einfluss zu nehmen, war die BGA bereit für die öffentliche Debatte. Während der demokratischen Vorwahlen im Jahr 2020 suchten alle Kandidat*innen das Gespräch mit dem Bündnis. Die Allianz wurde zu einem einflussreichen und vertrauenswürdigen Partner und nutzte diese Position, um sich vorzubereiten: Zu Beginn der IRA-Verhandlungen waren sich die Mitglieder des Bündnisses über die wichtigsten Forderungen einig. Sie wollten ein Gesetz, das in gute, saubere Arbeitsplätze investiert, Chancengerechtigkeit für BIPOC, Frauen und junge Menschen bietet, Arbeitnehmer*innen schützt und gleichzeitig ihre Gemeinden und Heimatregionen stärkt und widerstandsfähig gegen die Folgen der Klimakrise macht.

BGA setzte sich mit Erfolg dafür ein, dass im IRA Steueranreize für Grüne Technologien an bezahlte Ausbildungsstellen und systematische Fortbildungsmaßnahmen, gute Löhne und Investitionen in so genannte justice and energy communities geknüpft werden. Gleichzeitig sollte die Dekarbonisierung nicht verlangsamt werden, indem Unternehmen oder Betriebe ausgeschlossen werden: Unternehmen bekommen aber zusätzliche Steuergutschriften, wenn sie Ausbildungsplätze in grünen Branchen und gute Löhne anbieten oder in Gemeinden und Standorte investieren, die in der Vergangenheit stark unter zu wenig Umweltschutz gelitten haben oder in Zukunft im besonderen Maße vom Ende der fossilen Brennstoffindustrie betroffen sein werden. Die Allianzen führte parallel Aufklärungskampagnen durch, gab Studien in Auftrag und mobilisierte seine Mitglieder zur Unterstützung des IRA. All dies war entscheidend für die Verabschiedung des Gesetzes und ist nun extrem relevant bei der Implementierung.

Das Green New Deal Network verknüpfte Bewegungen gegen Rassismus und für soziale Gerechtigkeit mit Naturschutzorganisationen.

Den traditionellen Umweltschutzorganisationen fehlte es lange an Verbindungen zu den wachsenden progressiven Bewegungen gegen Rassismus sowie zu traditionell sozialdemokratisch/linken Gewerkschaftsorganisationen. Hier spielte das Green New Deal Network (GNDN) eine entscheidende Rolle. Das Netzwerk wurde als Reaktion auf Ocasio-Cortez' Forderung nach einem „Green New Deal“ gegründet und brachte 14 nationale Organisationen für eine landesweite Kampagne zusammen. Es brachte große nationale Gewerkschaften mit jungen Klimaaktivist*innen aus der Sunrise-Bewegung und traditionelle Umweltorganisationen wie Greenpeace und das US Climate Action Network ins Gespräch miteinander und brachte sie in Kontakt mit Organisationen wie MoveOn, die sich im ganzen Land für mehr Demokratie einsetzen und sehr viel Mobilisierungserfahrung haben.

Was dieses Netzwerk (bis heute) auszeichnet, ist ihre Verknüpfung von der Forderung nach racial justice, sozialer Gerechtigkeit und Klimaschutz. Die Mitglieder des GNDN ließen sich bei ihrer Unterstützung des Green New Deal von der Beobachtung leiten, dass die so genannten „Frontline Communities“, die als erste die Auswirkungen des Klimawandels zu spüren bekommen, von der Klimapolitik oft vergessen werden. Mitglieder wie die SEIU – Service Employees International Union, die u.a. Menschen im Pflege- und Gesundheitswesen vertritt – wiesen auf die besonderen Risiken des Klimawandels für ihre Beschäftigten hin, die überwiegend aus nicht weißen Bevölkerungsgruppen stammen. SEIUs Lehren aus der Pandemie waren, dass Krisen Beschäftigte in systemrelevanten Berufen im Gesundheitswesen besonders hart treffen würden – auch die Klimakrise. Indem sie diese gemeinsamen Interessen zwischen Klima-, Arbeits- und Justice Bewegungen identifizierten, erweiterten die GNDN-Mitglieder die Unterstützungsbasis für Klimapolitik. So wurde beispielsweise das Thema Arbeit in der Pflege ein zentraler Bestandteil der IRA-Verhandlungen.

Koalitionen wie BGA und GNDN führten unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen an Klimaschutz heran, indem sie deren Interessen ernst nahmen, integrierten und bündelten. Der Einfluss einzelner Umweltorganisationen mag dadurch relativ gesunken sein, doch es entstand eine starke neue Kraft für Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit.

Lektion 2: Aus neuen Bündnissen entwickelte sich erstmals ein plausibles, positives Narrativ für Klimaschutz mit Fokus auf Fortschritt, Arbeitsplätzen und wirtschaftlichen Wohlstand.

Die Öffnung der Gespräche um Klimaschutz führten im Fall der BlueGreen Alliance und des Green New Deal Network nicht dazu, dass Abstiegs- und Verlustängste ins Zentrum rückten, sondern schufen im Gegenteil einen neuen Rahmen für eine Dekarbonisierungsagenda, in der es um Wachstumschancen, Wohlstand, gute Arbeitsplätze und Investitionen in strukturschwache Gemeinden ging. Es entstanden Narrative, die auf Ermächtigung setzten und betonten, was Menschen, Gemeinden und Bundesländer tun und wie sie von der Transformation profitieren können. Bewusst entfernten sich die Beteiligten von einem Narrativ, das Angst vor der drohenden Klimakatastrophe schürte und dabei in der Vergangenheit zu oft Hilflosigkeit und Ohnmacht ausgelöst hatte anstatt Aufbruch und Tatendrang. Die Überzeugung, dass sich Umwelt-/Klimaschutz und wirtschaftlicher Wachstum gegenseitig ausschließen, hatte über Jahrzehnte hinweg die Bemühungen um eine groß angelegte Dekarbonisierung erschwert. Bidens IRA ist das erste große Klimagesetz, das diese Vorstellung überwindet und eine Klimakoalition aufbaut, die auf gute Arbeitsplätze und wirtschaftliche Entwicklung setzt.

Liberale und progressive Bewegungen in den USA sprechen heute über Klimaschutz gerne mit konstruktiven Begriffen wie „Aufbau von Wohlstand“ und „sozialer Sicherheit“ anstatt „Verzicht und Einschränkungen“. In Bidens Worten:

Folks, when I think about climate change, I think jobs.

Der IRA erkennt auch an, dass die Arbeitnehmerschaft in den USA vielfältiger ist als je zuvor und dass nicht-weiße Bevölkerungsgruppen in der Vergangenheit am stärksten von Umweltverschmutzung betroffen waren und zugleich am wenigsten vom wirtschaftlichen Wohlstand profitierten: Es ist auch das erste Klimagesetz, das environmental justice in den Mittelpunkt stellt, indem es solche Gemeinden besonders in den Blick nimmt.

Klimapolitik wird als Instrument gesehen, um in die amerikanische Arbeiter- und Mittelschicht zu investieren und gut bezahlte Industriearbeitsplätze in marginalisierte Gemeinden und Regionen zurückzubringen, insbesondere im Mittleren Westen und im Süden.

Lektion 3: Für die Umsetzung braucht es lokale Netzwerke und Partner*innen außerhalb traditioneller Klimagruppen

Um die Auswirkungen und das Potenzial des IRA besser zu verstehen, sind wir an Orte gereist, die in den letzten Jahrzehnten besonders vom wirtschaftlichen Strukturwandel betroffen waren – Orte wie South Bend, das einst prosperierende Industriezentrum Indianas und Sitz des Automobilunternehmens Studebaker. Mit dem Niedergang von Studebaker brach die Wirtschaftskraft der Stadt ein und die Bevölkerung schrumpfte. Die sozialen Folgen beschäftigen die Stadt bis heute: Leerstand und Perspektivlosigkeit prägen das Stadtbild, junge Leute lassen sich zwar an den zwei Universitäten der Stadt ausbilden, ziehen dann aber in Scharen weg, während die radikale Rechte die Politik im Umland dominiert. Dieser Niedergang endete erst, als Pete Buttigieg Bürgermeister wurde und massive Investitionen in die städtische Infrastruktur versprach - und auch er setzte auf Klimapolitik: Kurz bevor er 2020 für die Demokratische Präsidentschaftsnominierung kandidierte, präsentierte er den South Bend Carbon Neutral 2050 Plan.

Es sind heute vor allem lokale Initiativen, die gemeinsam mit der Stadtverwaltung dafür kämpfen, dass South Bend beim nächsten Strukturwandel nicht wieder verliert und die Menschen vor Ort von der Dekarbonisierung profitieren. Ein spannendes Beispiel ist die gemeinnützige Organisation EnFocus, die sich in den alten Werkräumen der Studebaker Fabrik Büros mit Startups teilt und es sich zum Ziel gesetzt hat, gut ausgebildete Menschen in der Region zu halten. Die Organisation vergibt jedes Jahr Stipendien, um Berufsanfänger*innen dabei zu unterstützen, gemeinsam mit lokalen Betrieben und Organisationen, Projekte zu entwickeln und umzusetzen, die South Bend auf die Folgen der Klimakrise vorbereiten und die Potentiale der Dekarbonisierung nutzen. Bei EnFocus sind so zahlreiche Programme und Initiativen entstanden, die von der Stadt finanziert werden, aber die Verwaltung entlasten und Uni-Absolvent*innen die Gelegenheit geben, vor Ort eigene Ideen umzusetzen und Berufserfahrung zu sammeln. Und so findet man in der ganzen Stadt junge Menschen, die problemlos in den umliegenden Großstädten Jobs finden könnten aber dank EnFocus in South Bend bleiben, um etwa den Baumbestand in ärmeren Stadtvierteln zu erhöhen oder lokalen Betrieben helfen, Umschulungsprogramme für ihre Beschäftigten zu organisieren, so dass diese z. B. Wärmepumpen oder Solarsysteme installieren können. In den letzten 10 Jahren haben hunderte von Stipendiat*innen auf diese Weise zahlreiche Projekte zu Klima-Resilienz und sozialer Gerechtigkeit durchgeführt, die die Stadt alleine nie hätte stemmen können. Jetzt hilft EnFocus, die lokale Umsetzung des IRA zu organisieren: Die Fellows helfen Anträge zu schreiben, organisieren Infoveranstaltungen und holen lokale Akteure an Bord, um so konkrete Möglichkeiten für South Bend zu schaffen, den Kohlenstoffausstoß zu verringern und gute Arbeitsplätze zu schaffen.

Eine weitere lokale Organisation in South Bend ist Near Northwest Neighborhood Inc. (NNN). Sie setzt sich dafür ein, bezahlbaren Wohnraum zu erhalten und gleichzeitig ein klimaresistentes Viertel zu schaffen. Near Northwest Neighborhood Inc. ist ein Ort, an dem Menschen zusammenkommen und die Gelegenheit bekommen, Einfluss auf ihre Nachbarschaft zu nehmen, in einer Stadt, die sich gegen den Niedergang stemmt. Hier findet man eine hyperlokale Version der BGA-Strategie, die auf Vertrauensaufbau und Beziehungsarbeit setzt, um Akzeptanz für Umbrüche und Veränderung zu schaffen.

Trotz seines kleinen Teams und geringen Budgets erzielt außerdem das Office of Sustainability in South Bend große Wirkung, indem es auf starke Netzwerke und Kontakte in der Gemeinde setzt. Das vielleicht eindrucksvollste Beispiel für diesen community-oriented bottom-up-Ansatz von Verwaltung ist das Climate Action Ambassador Network. Diese Gruppe von Menschen, die aufgrund ihrer Berufe, ehrenamtlichen Aufgaben oder Persönlichkeiten großes Vertrauen in der Gemeinde genießen, organisiert nun gemeinsam Gespräche über den Klimawandel, sie klären auf, fragen nach und setzen sich bei der Verwaltung für ihre Nachbarn ein. Das Netzwerk ist eine wichtige Grundlage für den neuen Klimaaktionsplan der Stadt, der ganz maßgeblich auf dem Gedanken basiert, dass Klimapolitik vor Ort auf Akzeptanz und Unterstützung der Bevölkerung angewiesen ist – erst recht in einem politischen Umfeld, in dem sich die reaktionären Kräfte immer weiter radikalisieren.

Fazit

Der IRA hat Schwachstellen: Weiterhin werden Ölbohrungen- und Gasgenehmigungen erteilt, auch wenig vielversprechende kohlenstofffreie Technologien werden großzügig unterstützt, selbst wenn es ökologischere Alternativen gibt (z.B. Carbon Capture & Storage). Aufgrund des Fokus auf Dekarbonisierung rücken andere ökologische Fragen in den Hintergrund: Biodiversität, Artenschutz, der Erhalt von Mooren, Wäldern oder Sumpfgebieten – all diese drängenden ökologischen Fragen werden nicht gestellt. Das Gesetz leitet auch keinen kulturellen oder habituellen Wandel ein, erwähnt ihn nicht einmal. Konsumgewohnheiten, Mobilitätsmuster oder Lebensmittelproduktion – auf keine dieser Bereiche nimmt der IRA Einfluss. Der anreizorientierte Ansatz, mit dem Unternehmen zu privaten Investitionen in den grünen Wandel animiert werden sollen, stellt das Wachstumsparadigma in keiner Weise in Frage.

Und doch hat der IRA eine Dekarbonisierung in Gang gesetzt und in der amerikanischen Klimabewegung einen bemerkenswerten Paradigmenwechsel bewirkt. Der IRA hat bewiesen, welch transformative Wirkung Bündnisse und Allianzen haben, um eine grüne Agenda voranzubringen und ein glaubwürdiges und hoffnungsvolles neues Narrativ lanciert, dass eine kohlenstofffreie Zukunft nicht auf Kosten von Arbeitsplätzen und Wohlstand gehen muss – ganz im Gegenteil. Er hat eine enorme Dynamik für grüne Technologien und Unternehmen in Gang gesetzt und integriert bei der Umsetzung jahrzehntelange lokale Netzwerke. Vor allem aber scheint er zu beweisen, dass der Staat in der Lage ist, Lösungen für die schwierigsten gesellschaftlichen Probleme anzustoßen – das gilt es anzuerkennen in einer Zeit, in der so viele Amerikaner*innen das Vertrauen in ihr politisches System verlieren.